Einen anderen Weg nehmen

 
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Nimm dir bitte Zeit diesen Text ruhig zu lesen. Es ist nur teilweise so, wie du es dir vorstellst.

Es gibt wenige Ereignisse im Leben, die man nicht vermeiden kann. Das Einzige, das mir in den Sinn kommt, ist das Sterben.

Ihr habt sicher auch eine geliebte Person verloren. Mein Vater ist gestorben. Ja, er war alt und von dem her war das zu erwarten. Ich habe mir immer vorgestellt bei ihm am Sterbebett zu sein: Ihm die Hand zu geben, ihm zu sagen, was ich ihm im Leben nicht sagen konnte, weil wir uns nie verstanden haben, weil wir uns aus dem Weg gegangen sind, weil wir uns gegenseitig weh tun wollten, weil wir uns auf unsere Art gesucht haben, und weil wir den Weg dafür nicht gefunden haben.

Mein Vater ist an Corona gestorben. In Spanien und in der Corona-Zeit durfte man nicht einmal die Wohnung verlassen. Meine Familie dort durfte ihn auch nicht begleiten. Er ist allein im Spital gestorben. Als er starb, waren in Spanien die Beerdigungen nur mit fünf Trauernden möglich. Heute ist die Situation entspannter. Trotzdem, vier Monate nach seinem Tod, ist seine Asche immer noch im Büro meines Bruders.

Während dem kurzen Aufenthalt meines Vaters im Spital bin ich oft allein spazieren gegangen. Ich habe mir mehr Zeit genommen, um Yoga zu üben und zu meditieren. Ich habe diese und jene Mudras und Mantras gemacht. In den Büchern stand, dass sie helfen. Ich habe leider nur Leere gespürt. Und Ohnmacht.

In der Zeit meiner Yogaausbildung hatte ich auch Zustände der Leere. Da habe ich vieles in Frage gestellt. Das nahm ich aber als natürlichen Zustand an, der einen zwingt etwas zu verändern.

Meine Yogalehrer hatten uns auf zwei Punkte Aufmerksam gemacht:

  1. Der Wert der Erfahrung unserer eigenen Yoga-Praxis.

  2. Die Ehrlichkeit, sie auf unsere persönliche Art zu vermitteln.

Einige Tage vor dem Tod meines Vaters sass ich an der Sonne auf der Terrasse. Ich schloss meine Augen, um die Wärme der Mittagszeit zu geniessen. Mit Licht und Wärme verbinde ich positive Erfahrungen. Und mit Freude wollte ich meinen Vater verabschieden.

Es war einfach, an nichts zu denken und Licht und Wärme zu spüren.

Meine innere Stimme sagte:

Papá, spüre die Wärme von jenen, die dich lieben und folge dem Licht von jenen, die dich rufen.

Es hatten sich unbewusst zwei physische Reize mit zwei Empfindungen verbunden: Wärme mit Liebe und Licht mit Endgültigkeit.

Ich habe diese Art von Verabschiedungsmeditation so oft gemacht, wie ich es nötig hatte.

Das Gefühl der Leere taucht immer seltener auf. Und die Leere füllt sich von Tag zu Tag mit einem Gefühl von Verbundenheit mit meinem Vater und Freude.

In Büchern ist nicht geschrieben, was mir gut tut. Was mir gut tut, kann ich nur erfahren in dem ich mir ehrlich in Ruhe, Zeit dafür lasse.

Cristina Suanzes

Piera Bachmann